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Samstag, 16. März 2024

»Harlekins Millionen« von Bohumil Hrabal



»Harlekins Millionen« ist ein modernes Märchen von Bohumil Hrabal. In Lysá, wo das Schloss des Grafen Sporck vor sich hin träumt, spielen die zauberhaft-traurigen Erzählungen aus »Harlekins Millionen«.

»Harlekins Millionen« ist ein Musikstück, das als Dauerberieselung in einem Altersheim irgendwo in Tschechien Tag für Tag gespielt wird. Die Erzählerin, Hrablas Mutter, wandelt durch eben dieses Altersheim als eine der Rentner und entdeckt jedes Mal Neues als der Gegenwart und der Vergangenheit. Drei alte Männer stehen ihr zur Seite, die ihr von den alten Zeiten des kleinen tschechischen Dorfes erzählen, in dem ihr Mann vor dem Kommunismus Brauereiverwalter war. Sie lässt in diesen Reflektionen die Geschichte passieren, erzählt über die Familiegeschichte des Landes und der Bevölkerung.


Hrabal verbindet in seinem „Märchen“ viele Ebenen, die des Jungseins und des Alterns bis hin zum Sterben. Seine Vergleiche einer alternden Frau mit den ewig jungen Statuen im Park des Heimes, wie auch die Stärke seiner Charaktere, die sich von nichts, was um sie herum passiert ändern lassen, sind unerreicht und machen das Buch zu einer spannenden und zum Nachdenken anregenden Lektüre. Den Mittelpunkt steht immer die Fragen: Was ist das Leben? Was ist die Liebe?, dies jedoch so unaufdringlich und frei von jeglichem Pathos, dass es ein reines Lesevergnügen ist.

Literatur:

Harlekins Millionen
Harlekins Millionen
von Bohumil Hrabal

Samstag, 19. August 2023

»Franz Sternbalds Wanderungen« von Ludwig Tieck



»Franz Sternbalds Wanderungen« ist ein 1798 veröffentlichter Künstler- und Bildungsroman von Ludwig Tieck. Der Roman mit dem Untertitel »Eine altdeutsche Geschichte« spielt in der Zeit Albrecht Dürers, an die auch Wackenroders »Herzensergießungen« erinnert hatten. Im Bild des Sebastian, des befreundeten Malerkollegen, den Franz Sternbald in Nürnberg zurückläßt, wird an den verstorbenen Freund erinnert. Der Name verwaist zudem auf den heiligen Märtyrer.

Franz Sternbald, ein fiktiver Schüler Albrecht Dürers (1471-1528), verlässt seinen Meister, um sich auf Wanderschaft als Künstler zu vervollkommnen. Sein Weg führt ihn zunächst in die Niederlande zu Lucas van Leyden (um 1489-1533). Von Antwerpen aus zieht er mit dem jungen Reisekameraden Rudolf Florestan nach Italien, wo er Raffael (1483-1520) zu treffen hofft. Am Süden faszinieren ihn die überall blühende Kunst, der ästhetische Reiz des Katholizismus und die mediterrane Lebensfreude, die sein Wanderkamerad verkörpert.

Darüber hinaus sucht Sternbald nach seiner Jugendliebe Marie. Das Zusammentreffen mit einer Jagdgesellschaft - spätestens hier zeigt sich der Einfluss von »Wilhelm Meisters Lehrjahre« - führt Franz auf die Spur jener jungen Frau, die er bei einem Unfall gerettet hatte und die ihm auf mysteriöse Weise vertraut erschienen war. Er wird verstrickt in die Schicksale der Gräfin Adelheid und ihres Geliebten Rodrigo, sogar in die Entführung einer Novizin aus einem Kloster. In Rom findet er schliesslich Marie, womit die Geschichte abbricht.

Franz Sternbalds Wanderungen
Franz Sternbalds Wanderungen

Der Maler Franz Sternbald verlässt Nürnberg, wo er seinen viel geliebten Meister Albrecht Dürer und seinen Freund Sebastian zurücklässt. Ziel seiner Wanderung ist Italien, Zweck seiner Wanderung ist sich als Maler zu optimieren. Franz besucht zuerst sein Elternhaus, dort findet er seinen sterbenden Vater, der ihm sagt, er sei nicht sein Sohn. Der Vater stirbt, bevor er Franz darüber aufklären kann. Mit dieser Unwissenheit und der Neugierde des Lesers reist Franz weiter.

Der Besuch seiner Heimat rief Franz eine Kindheitserinnerung wach; er schenkte einem Mädchen einen selbst gepflückten Blumenstrauß und war betört von dem lieblich blonden Mädchen. Franz will sie finden, er hat keinen Anhaltspunkt, doch manchmal scheint das Schicksal ihm gefällig zu sein.

Seine Reise führt nach Holland, zu dem Maler Lukas von Leyden, nach Antwerpen, Straßburg, Florenz und Rom. In Italien lernt der junge Mann neben der Kunst Raffaels auch Erotik und Sinnenblust kennen. Franz findet Weggefährten und macht Bekanntschaften, die nicht immer ohne Wirkung auf ihn bleiben. In Rom erschließt sich der sonst kindliche, nachdenkliche und schüchterne Franz einem freudigen Leben.

Die Erzählung tritt immer wieder auf der Stelle, die Handlung rückt in den Hintergrund, ist nur Beiwerk zu Sternbalds vielen traurigen und sentimentalen Gedanken, ist Lückenfüller für Ansichten und lange Gespräche über Kunst und Künstler. Bis auf ein paar wenige Bilder, die zu Franz Sternbalds Lebensunterhalt beitragen, malt Franz seine Bilder in Gedanken und diese muss der Leser ausführlichst aushalten.

Der Romantik geschuldet ist die alte Sprache und der Schreibstil, es liest sich etwas stockend, es kommt kein Lesefluss auf. Das Werk enthält viele Gesänge/Gedichte, tragen nichts zur Handlung bei, helfen aber dem sentimentalen romantischen Charakter.

Weblink:

Ludwig Tieck Biografie

Literatur:

Franz Sternbalds Wanderungen
Franz Sternbalds Wanderungen
von Ludwig Tieck

Franz Sternbalds Wanderungen
Franz Sternbalds Wanderungen
von Ludwig Tieck

Dienstag, 2. Mai 2023

»Das Maskenspiel der Genien« von Fritz von Herzmanovsky-Orlando

Das Maskenspiel der Genien
Das Maskenspiel der Genien

Die habsburgische Vergangenheit beherrscht weiterhin das literarische Bewusstsein Österreichs. Der 1929 abgeschlossene Roman »Das Maskenspiel der Genien« von Fritz Herzmanovsky-Orlando ist ein Werk der phantastischen Literatur, das in der neuerwachten Gotik der Levante spielt. Es ist sein Hauptwerk und zugleich ein Hauptwerk der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, ein von Einfällen und Witz überquellender, wunderschöner Alptraum. Ein Werk in der Tradition des österreichischen Humors und unter dem Einfluß von Alfred Kubins fin de siecle-Roman »Die andere Seite«.

»Das Maskenspiel der Genien« thematisiert die Spiegelung von Traum und Realität und ist eine Mischung aus antikem Mythos und Commedia dell` arte zum Zwecke der Vervballhornung der Habsburger Monarchie und ihres willfährigen und selbstgefälligen Beamtentums. Es ist die Wiederauferstehung des Mittelalters mit seinen Gauklerfiguren unter der Maske der Commedia dell` arte. Der Roman ist ein wahres Königtum des phantasievollen Einfallsreichtums und frechen Gauklertums. Die K.u.K.-Groteske spielt in der Tarockei. Der zu Lebzeiten unveröffentlichte und zunächst deutlich gekürzt publizierte Großroman »Das Maskenspiel der Genien« wurde 2011 in einer für breite Leserschichten angelegten unkommentierten "Volksausgabe" veröffentlicht.


Den ersten Teil der Reise führt den Abenteurer und Forscher Cyriak von Pizzicolli, eine literarische Verfremdung des Vorbildes Cyriacus von Ancona, in die Tarockei. Den zweiten Teil der Reise führt Pizzicolli nach Arkadien und in das antike Griechenland. Ins Bizarre gleitet die Reise nach Griechenland zur Zeit der Gotik ab. Hier spielt das Maskenspiel in der neuerwachten Gotik der Levante. Durch ungeheure Tragik gerät er in ein antikes Göttermysterium.

Arkadien ist ein ägäisches Wunderland voller mondäner Feste, bizarrer Einsiedler, berückender Landschaft und undeutlicher politischer Zugehörigkeit – die Türken werden nicht wirklich geleugnet, spielen aber nur eine untergeordnete dekorative Rolle – ist die eigentliche politisch-surrealistische Erfindung Herzmanovskys vorgelagert: die Tarockei, ein vom Fürsten Metternich geschaffener Pufferstaat im Süden der Donaumonarchie, der den Namen von seiner monarchischen Konstitution her trägt: Er wird nach den Regeln des Tarock-Spieles regiert.

Die Tarockei ist keine Insel der Seligen, obwohl von der Außenwelt der Nachbarstaaten gut abgeschirmt. Sie enthält natürlich Elemente einer Satire auf das alte Österreich mit seiner im Rückblick von heute bewunderten Bürokratie, die vor allem durch die von ihr entwickelte Sprache zu ihrer Zeit aber auch in manchem administrativen Exzess im Gedächtnis geblieben ist.


Die vier Könige des Landes werden ausschließlich nach ihrer physiologischen Ähnlichkeit mit den Spielkarten ausgesucht, und so gelangen die erstaunlichsten Personnagen auf den Thron. Hinter den Tetrarchen aber steht der eigentliche Machthaber, ein unheimlicher, nie erblickter Rat der Drei, bestehend aus den Tarockkarten Sküs, Mond und Pagat.

Durch eine Kastentür gelangt der verwaiste, ledige Cyriak von Pizzicolli, der sein Leben lang nie weit von Graz weggekommen ist, auf Traumpfaden in die Tarockei, „das einzige Nachbarland der Welt“, ein magisch bevölkertes Phantasiegebilde eines österreichisch-byzantinischen Utopia, dessen Verfassung auf den Regeln des Tarockspiels gründet. Was ihm dort widerfährt, nachdem er der atemberaubend schönen Cyparis - einer Verkörperung und Wiedergängerin der Helena - ansichtig wird, und warum er am Ende ein Hirschgeweih auf dem Kopf trägt, kann Ihnen nur dieses Buch erzählen und niemand anderer als Fritz von Herzmanovsky-Orlando. „

Pizzicolli landet am Ende auf der Insel Kreta. Dort erfolgt auch die Auflösung des geheimnisvollen Mysterienspieles /. des Mysteriums am Ende. Geheimes Wissen um eine versunkene Welt. Ein Mann in einer Mönchskutte offenbart ihm das geheime Wissen um eine versunkene Welt und das Wissen, wie sich die Dinge für ihn zusammenfügen. In der Offenbarung des Mönches in der weißen Kutte Fra Hugo ging Pizzicolli nun ein Licht auf über den geheimen Sinn der Mysterienspiele.

Die ganze religiöse Geschichte hat einen Angelpunkt: das Erscheinen des Erlöses, des Jesus Christos. Alle antiken Mysterien sind nutzlos. Hier in diesem weltvergessenen Stück Europas leben, sehr verborgen, die seltsamsten Bewahrer uralten mystischen Wissens der Tempeleisen, der Träger heiligster Traditionen, von Dingen, die am europäischen Kontinent längst abgeschafft und vorläufig noch vergessen sind.


Nach der Offenbarung gehen dem eingeweihten Pizzicolli nun zahlreiche Spukbilder durch den Kopf. Zum Schluss dann der Auftritt der Harlekine, welche die Maske lüpfen und das Rätsel der Mysterien auflösen. Bald erfuhr Pizzicolli, daß die Herren aus der ganzen Welt an dieser Stelle zusammengekommen seien. S. 487

"Man plane eine Durchwebung der antiken Mysterien mit den Figuren der Commedia dell`Arte ... wie wenn es geworden wäre, wenn Venedig wirklich den ganzen Orient für immer beherrscht hätte."

Am Ende trägt er selbst ein Hirschgeweih auf dem Kopf.


Fritz von Herzmanovsky-Orlando hat 1929 seinen weithin berühmten, jedoch vollkommen unbekannten Roman »Das Maskenspiel der Genien« abgeschlossen. Der Roman ist ein wahres Königtum des phantasievollen Einfallsreichtums. Die K.u.K.-Groteske spielt in der Tarockei. Der zu Lebzeiten unveröffentlichte und zunächst deutlich gekürzt publizierte Großroman »Das Maskenspiel der Genien« wurde 2011 in einer unkommentierten "Volksausgabe" veröffentlicht.

Der Abkömmling der Donaumonarchie hat der Monrachie mit seinem Werk ein groteskes Denkmal gesetzt. Ein traumhaftes Werk nicht nur für phantasiebegabte Leser mit Sinn für Ironie und Komik. Sehr empfehlenswerter Lesestoff für alle, die wirklich gute phantastische Literatur und nicht nur "Fantasy" lesen wollen.



Blog-Artikel:

Fritz von Herzmanovsky-Orlando 140. Geburtstag

»Der Mann ohne Eigenschaften« von Robert Musil


Weblink:

Cyriacus von Ancona – Wikipedia - https://de.wikipedia.org/wiki


Literatur:

Das Maskenspiel der Genien
Das Maskenspiel der Genien
von Fritz von Herzmanovsky-Orlando

Phantastik auf Abwegen. Fritz von Herzmanovsky-Orlando im Kontext
Phantastik auf Abwegen. Fritz von Herzmanovsky-Orlando im Kontext
von Bernhard Fetz und Klaralinda Ma



Tarockspiel:

Tarock - Wikipedia - de.wikipedia.org

Samstag, 18. Juni 2022

»Die Vermessung der Welt« von Daniel Kehlmann - in einzelnen Kapiteln

1. DIE REISE

Widerwillig macht sich der berühmte Mathematikprofessor Gauß 1828 mit seinem Sohn Eugen von Göttingen aus auf den Weg nach Berlin. Alexander von Humboldt hatte Gauß gedrängt, dort an einem Naturforscherkongress teilzunehmen. Die Reise wird für Gauß wie erwartet qualvoll. Er beleidigt Eugen und wirft dessen Buch über Turnkunst aus dem Fenster der Kutsche. Gauß besitzt keinen Pass und ein Gendarm will ihm die Einreise von Hannover nach Preußen verwehren. Dank eines unbekannten Mannes, der den Polizisten provoziert und ablenkt, können Vater und Sohn ihre Reise fortsetzen. In Berlin versucht Daguerre, einer der Erfinder der Fotografie, ein Foto von Humboldt und Gauß zu machen. Ein Polizist tritt dazwischen und das Bild misslingt.

2. DAS MEER

Das zweite Kapitel schildert, wie Alexander von Humboldt und sein älterer Bruder Wilhelm aufwachsen. Während Alexander zum Naturwissenschaftler erzogen wird, erhält sein Bruder Sprachenunterricht und ist das Lieblingskind aller. Als Alexander den Entschluss fasst, den Fluss Orinoko entlangzufahren und zu erforschen, wird er von Wilhelm verspottet. Alexander von Humboldt studiert in Frankfurt an der Oder und an der Bergbauakademie in Freiberg. Er wird an das Sterbebett seiner Mutter gerufen und beschließt nach ihrem Tod, in die Neue Welt zu reisen. In Paris begegnet er zufällig dem Naturwissenschaftler Bonpland und macht ihn zu seinem Reisegefährten. In Spanien besteigen sie ein Schiff und kommen zunächst nach Teneriffa, wo Humboldt gerührt einen uralten Baum umarmt. Auf der Weiterfahrt bricht auf dem Schiff ein gefährliches Fieber aus. Die gesamte Besatzung und auch Bonpland erkranken. Nur Humboldt ignoriert das Virus und bleibt gesund. Er seziert unterdessen Quallen und nimmt Messdaten von Luftdruck und Wassertiefe.

3. DER LEHRER

Gauß stammt aus einfachen Verhältnissen. Schon als Kind vollzieht er überragende Gedankengänge und entwickelt sich vom begabten Grundschüler zum genialen Mathematiker. Alle anderen Menschen sind seiner Meinung nach nur zu bequem zum Denken. Ein Stipendium des Herzogs von Braunschweig ermöglicht Gauß ein Universitätsstudium. Als einer der ersten Ballonfahrer nach Braunschweig kommt, erbittet Gauß sich erfolgreich einen Platz im Korb. Während der Fahrt beobachtet er begeistert den Sternenhimmel.

4. DIE HÖHLE
Die Expedition führt Humboldt und Bonpland zunächst nach Neuandalusien (heute Venezuela). Sie überreden einige Indianer, sie durch eine als »Totenreich« verschrieene Höhle zu führen. Je weiter sie hineingehen, desto weniger Indianer folgen ihnen, bis sie schließlich ganz allein sind. Als Humboldt seine Mutter halluziniert, verlassen sie die Höhle. Jetzt will Humboldt mit Hilfe einer Sonnenfinsternis ihren genauen Standort messen und den sagenumwobenen Kanal zwischen dem Orinoko und dem Amazonas finden. Humboldt schreibt einen begeisterten Brief an seinen Bruder und einen weiteren an Immanuel Kant. Durch den Angriff eines Eingeborenen wird Bonpland verletzt, die Messinstrumente zu Humboldts Erleichterung jedoch nicht beschädigt.

5. Die Zahlen

Im Alter von 19 Jahren löst Gauß eines der ältesten mathematischen Probleme, ein 17-Eck nur mit Lineal und Zirkel zu konstruieren. Er schließt sein Studium summa cum laude ab und veröffentlicht als Zwanzigjähriger bereits sein Lebenswerk, ein Buch über die Grundlagen der Arithmetik. Seinen Unterhalt verdient er als Landvermesser. Das Mädchen Johanna lehnt den Heiratsantrag des kauzigen Wissenschaftlers ab. Nach einem deprimierenden Besuch bei dem von ihm verehrten Immanuel Kant in Königsberg, macht Gauß Johanna einen zweiten Antrag. Im Fall einer erneuten Absage will Gauß sich mit Curare vergiften, das auf Umwegen in seine Hände gelangt ist. Humboldt hatte es aus Südamerika nach Berlin gesandt. Johanna nimmt den Antrag jedoch an.

6. DER FLUSS

Humboldt und Bonpland reisen wochenlang durch den Urwald, um den legendären Kanal zu kartieren. Die Tour ist strapaziös, Moskitoschwärme und Krokodile sind allgegenwärtig und mehrfach geraten die Wissenschaftler in Lebensgefahr. Unterwegs finden sie Aufnahme in Missionsstationen. Von einem Curaremeister lernen sie alles über Herstellung und Wirkung des Giftes. Nach dem Erreichen des Kanalendes will Humboldt kein Risiko mehr eingehen und die Aufzeichnungen über die Expedition, Präparate und Herbarien so schnell wie möglich nach Europa senden. Der einsetzende Dauerregen hindert sie jedoch zunächst an der Weiterreise. Hilflos sehen sie von einer kleinen Insel aus zu, wie ihr Boot mitsamt den Ruderern fortgeschwemmt wird.

7. DIE STERNE

Gauß heiratet Johanna und zieht mit ihr nach Göttingen. Er will Direktor der dort geplanten Sternwarte werden. Unterdessen überziehen die vorrückenden Truppen Napoleons das Land mit Krieg. Das Observatorium wird nicht gebaut und Gauß stattdessen verpflichtet, Studenten zu unterrichten. In seiner Weltabgewandtheit versäumt Gauß die Geburt seines ersten Sohnes. Im Alter von dreißig ist Gauß kränklich und leidet unter Konzentrationsschwäche. Er meint, dass er nicht alt werde. Johanna stirbt bei der Geburt ihres dritten Kindes. Gauß erwägt, wieder zu heiraten, damit die Kinder versorgt seien.

8. Der Berg

Bonpland und Humboldt besteigen den Chimborazo, der damals als höchster Berg der Welt gilt. Infolge des Sauerstoffmangels in der Höhe werden sie von Wahnvorstellungen gequält. Sie brechen ab, ohne den Gipfel erreicht zu haben. Sie erwägen, der Welt trotzdem zu erzählen, sie hätten den Berg bestiegen. Wieder unten schreiben sie nach Europa, sie seien von allen Menschen am höchsten gelangt.

9. DER GARTEN

Gauß hat Johannas Freundin Minna geheiratet. Er kann sie nicht ausstehen und ist nur ungern zu Hause. Deshalb arbeitet er wieder als Landvermesser. Sein Sohn Eugen hilft ihm dabei, doch Gauß ärgert sich über dessen beschränkten Verstand. Als er auf das Land des Grafen von der Ohe zur Ohe kommt, stehen seiner Vermessungsarbeit ein Schuppen und einige Bäume im Weg. Im Gespräch mit dem Grafen stellt sich heraus, dass dieser genau weiß, wer Gauß ist. Der Graf überlässt ihm kostenlos Schuppen und Bäume und Gauß wundert sich über seine eigene Berühmtheit.

10. Die Hauptstadt

Humboldt und Bonpland gelangen nach Acapulco (damals Neuspanien, heute Mexico). Humboldt ist voller Elan, während man dem rasch alternden Bonpland die Strapazen der Reise ansieht. Inzwischen begleiten internationale Zeitungsreporter die Expedition und die Wissenschaftler sind zu Gast beim Vizekönig. Humboldt will jetzt einen Atlas von Neuspanien erstellen. Er vermisst und erforscht das Land, darunter Silberminen und das Erbe der Azteken. In der prähistorischen Stadt Teotihuacan entdeckt er einen riesigen Kalender. Auf dem Vulkan Jorullo seilt er sich in den Krater ab und behauptet anschließend, den Neptunismus widerlegt zu haben. Mit Kisten voller Gesteins- und Pflanzenproben sowie Käfigen mit exotischen Tieren treten Humboldt und Bonpland die Heimreise nach Europa an. Unterwegs werden sie im nordamerikanischen Philadelphia von Präsident Jefferson empfangen, dem sie Bericht über das neu erforschte Gebiet erstatten sollen. Humboldt will fortan in Paris leben.

11. DER SOHN

Nach Humboldts Rückkehr treffen er und Gauß in Berlin aufeinander. Sie sitzen bei Tisch und unterhalten sich über ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien. Nach schwierigen Jahren in Paris ist Humboldt jetzt Kammerherr des preußischen Königs Friedrich Wilhelms. Im Gegensatz zu Napoleon schätzt dieser Humboldts Forschungen. Gauß beleidigt wiederholt seinen ebenfalls anwesenden Sohn Eugen, der schließlich gekränkt den Raum verlässt. Humboldt erzählt, dass Bonpland sich nach der Reise im bürgerlichen Leben nicht mehr zurechtgefunden habe, nach Südamerika zurückgekehrt sei und in Paraguay unter Hausarrest stehe.

12. DER VATER

Nach den Beleidigungen durch seinen Vater zieht Eugen verdrossen durch Berlin. Durch Zufall begegnet er Studenten, die ihn zu einer geheimen politischen Veranstaltung mitnehmen. Eugen erkennt in dem Redner den Mann wieder, der ihn und seinen Vater am Vortag an der Grenzstation davor bewahrt hat, festgenommen zu werden. Das Treffen ist von den »Jungen Patrioten« organisiert, die polizeilich verfolgt werden. Als die Gendarmerie eintrifft, wird Eugen mit allen anderen Beteiligten verhaftet.

13. DER ÄTHER

In Berlin hält Humboldt vor einem illustren Publikum einen Vortrag über seine Erkenntnisse der Welt und des Kosmos. Auch Gauß ist anwesend. Beim Verlassen des Saals hält Humboldt ihn auf und stellt ihn zahllosen Berühmtheiten vor, darunter auch seinem Bruder Wilhelm von Humboldt. Die vielen Menschen sind eine Qual für Gauß und endlich gelingt es ihm, zu entkommen. Er irrt durch die Straßen Berlins und findet zu Humboldts Haus zurück. Als Humboldt ebenfalls eintrifft, kommt es zu einem disput darüber, was Wissenschaft eigentlich sei. unterbrochen werden die beiden von der nNchricht, dass eugen verhaftet worden sei.

14. DIE GEISTER

Gauß und Humboldt brechen auf, um sich bei dem Gendarmeriekommandanten Vogt für Eugen einzusetzen. Sie treffen ihn bei einer spiritistischen Sitzung an. Humboldt bittet Vogt um die Freilassung von Eugen. Vogt zögert und Gauß unterstellt ihm Bestechlichkeit. Es kommt zum Streit; Humboldt und Gauß machen sich unverrichteter Dinge auf den Heimweg. Unterwegs sprechen sie über ihre jeweiligen Zukunftspläne.

15. DIE STEPPE

Humboldt reist zu Forschungszwecken nach Russland. Der Zar finanziert das Unternehmen, legt aber zugleich die Reiseroute fest und stellt Humboldt unter Aufsicht. Der alternde Wissenschaftler wird zwar überall im Land als Berühmtheit gefeiert, von seinen Begleitern jedoch belächelt. Man lässt ihm keine Zeit für die Forschung und es gelingt ihm nicht, seine Untersuchungen des Magnetismus sinnvoll durchzuführen. Unterdessen stellt Gauß, mit dem

Unternehmen, legt aber zugleich die Reiseroute fest und stellt Humboldt unter Aufsicht. Der alternde Wissenschaftler wird zwar überall im Land als Berühmtheit gefeiert, von seinen Begleitern jedoch belächelt. Man lässt ihm keine Zeit für die Forschung und es gelingt ihm nicht, seine Untersuchungen des Magnetismus sinnvoll durchzuführen. Unterdessen stellt Gauß, mit dem Humboldt in regem Briefkontakt steht, eigene Versuche zum Magnetismus an. Später verlegt Gauß sich auf Sterbestatistiken. Gegen Ende der Reise gerät das Schiff mit Humboldt und seinen Begleitern im Kaspischen Meer in dichten Nebel. Humboldt erhält Gelegenheit, seine Fähigkeiten als Navigator unter Beweis zu stellen.

16. DER BAUM

Seit seiner Verhaftung befindet Eugen sich in der Gewalt der Geheimpolizei. Humboldt kann ihm eine Ausreisemöglichkeit nach Übersee verschaffen. Anders als Gauß und Humboldt zeigt Eugen kein Interesse für das Neue, das ihm unterwegs begegnet. Der Baum in Teneriffa, den Humboldt umarmt hatte, lässt ihn kalt. Er fühlt sich vom Vater verlassen und hat Heimweh. Der Kapitän seines Schiffes besitzt einen Chronometer und verkündet, die Zeit der großen Navigatoren sei vorbei. Während der Überfahrt nach Amerika lernt Eugen einen Iren kennen. Die beiden schmieden Pläne für eine gemeinsame Firma.


In prägnanten Szenen und mit knappen Sätzen skizziert Daniel Kehlmann das Leben der Zeitgenossen Gauß und Humboldt. Die beiden Wissenschaftler kannten sich flüchtig. Beide wollten die Welt vermessen, der eine im Königreich Hannover, der andere im südamerikanischen Urwald, beide wollten den Erdmagnetismus verstehen und den Kosmos erklären. Ihre Herangehensweise war jedoch denkbar verschieden: Während Humboldt im Geist von Goethe die Natur als ein großes Ganzes versteht und nach greifbaren Zusammenhängen sucht, tüftelt Gauß im Verborgenen und findet Erklärungen in abstrakten mathematischen Formeln. Es ist dem Autor gelungen, die Fülle des biografischen Materials zu reduzieren und einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Dass er sich dabei nicht strikt an historisch belegbare Fakten hält, entspricht dem Genre des Romans.

Samstag, 26. Februar 2022

»Ich dachte an die goldenen Zeiten« von Bohumil Hrabal



»Ich dachte an die goldenen Zeiten« ist ein Roman von Bohumil Hrabal, der erste Band einer dreiteiligen autobiografischen Reihe. Der wehmütige Titel weist übrigens auf vorliterarische Zeiten Hrabals hin, die endgültig vorbei waren, als sich erste literarische Erfolge einstellten und damit plötzlich auch genügend Geld verfügbar war für ein unkonventionelles Künstlerleben.

Aus der Sicht seiner Frau erzählt der tschechische Autor Bohumil Hrabal die Geschichte seiner eigenen Ehe und damit die einer ganz und gar ungewöhnlichen Liebe. Während er, ein lange erfolgloser Schriftsteller, endlich den Durchbruch schafft, sieht sie, seine Frau, nur seine Schwächen und seine unmöglichen Freunde, bei denen er der Champion ist, die Nummer eins, besonders in der Kneipe "Zum Goldenen Tiger". Das Buch ist gleichzeitig ein burlesker Gesellschaftsroman mit einer unkonventionellen Schilderung des Prager Frühlings.

Mit den Augen seiner Frau beschreibt Bohumil Hrabal sein eigenes Leben und nimmt dabei auf sich keine Rücksicht. Er erscheint dem Leser als bäurischer, martialischer Mann, der mehr durch Zufall Schriftsteller geworden ist. Und doch bekennt Hrabal darin seine Art zu schreiben, seine Art zu erzählen. Man versteht seine Verliebtheit in die Natur und den Augenblick. Was in den Augen seiner Frau manchmal wie Wahnsinn erscheint, offenbart sich als Möglichkeit Gefühle und Stimmungen zu verschriftlichen.

Und nebenbei lernt der Leser auch die Ängste der Bevölkerung während des Prager Frühlings kennen, die Sinnlosigkeit und pure Machtdemonstration, die er gebracht hat. Hrabal gelingt dies aber auf eine subtile und sympathische Weise, er prangert nicht an, er stellt nicht einmal in Frage sondern baut es in sein eigenes Leben als schlichte Tatsache ein, die in ihrer Aberwitzigkeit auch zu seiner eigenen literarischen Gestalt passt.

Wer Hrabal nur von seinen Romanen her kennt, sollte sich diese andere Art von Autobiographie nicht entgehen lassen. Wie dem auch sei, die gute Elišska hat es nicht leicht mit diesem Kerl. Schon gleich zu Anfang hastet sie zum Verlag ihres Mannes, den längst überfälligen Vorabdruck seines neuen Buches abzuholen. Bohumil wartet derweil entnervt zu Hause, ein hilfloses Bündel, suizidal unentschlossen zwischen Prager Fenstersturz oder Wacholderschnapsvergiftung. Oder die Episode, in der ihr Gatte stark alkoholisiert auf dem Bahnsteig auftaucht, den Verlagsvorschuß in einem Einkaufsnetz voller Geldscheine schwenkend. Wie bemerkt die Dame im Abteil gegenüber so treffend: "Der Herr Gemahl ist ein lustiger Kerl, sie erleben wohl so allerlei mit ihm!"

Aber was waren für den Autor die goldenen Zeiten? - Eliska erzählt über das Erscheinen des ersten Buches ihres Mannes Ende der 50er Jahre bis zum Publikationsverbot nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Mehr aber noch erzählt sie über den Schriftsteller Hrabal: Bohumil ist ein schwieriger, immer an sich selbst zweifelnder, sehr dem Alkohol und dem fetten Essen zugetaner Mensch, der eigentlich immer ein Kind geblieben ist. Er liebt seine Frau, seine Freunde und seine Katzen, er hasst Lesungen und Diskussionen; am liebsten ist er (allein) irgendwo in der Natur.

Bohumil Hrabal hat ein wunderbares Buch geschrieben, über dessen Wiederentdeckung man sich freut. Und natürlich kann Hrabal den tschechischen Nationalhelden Schwejk nicht verleugenen: nicht nur einmal wird man beim Lesen an Jaroslav Hasek erinnert, besonders bei Hrabals Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht und dem Publikationsverbot.

Literatur:

Ich dachte an die goldenen Zeiten
Ich dachte an die goldenen Zeiten
von Bohumil Hrabal

Ich dachte an die goldenen Zeiten
Ich dachte an die goldenen Zeiten - SZ-Reihe
von Bohumil Hrabal

Donnerstag, 13. Januar 2022

»Die Räuber« 1782 in Mannheim uraufgeführt

Nationaltheater Mannheim

Am 13. Januar 1782 wurde am Mannheimer Nationaltheater das erste Schauspiel des erst 22-jährigen angehenden Dichters Friedrich Schiller »Die Räuber« uraufgeführt. Im Mittelpunkt des Schauspiels stehen die Ablehnung absolutistischer Macht und der Ruf nach Freiheit.

Eshatten sich 1.200 Zuschauer ins Schauspielhaus von Mannheim gedrängt, um "Die Räuber" zu erleben, das berüchtigte Stück, das sie vom Papier her schon kannten. Die Gesellschaft aus Nah und Fern freute sich auf einen entspannten Theaterabend. »Die Räuber« sollte gespielt werden, ein Stück des noch relativ unbekannten Friedrich Schiller.

Bei Nacht und Nebel hatte sich der Autor des Stückes ohne herzogliche Beurlaubung aus Stuttgart davongestohlen. Nun saß der 22-jährige Regimentsmedikus Johann Christoph Friedrich Schiller unerkannt in der dunklen Parterre-Loge der Mannheimer Nationalbühne. Doch dann geschah Unerhörtes im Theater: Damen gesetzteren Alters schwanden die Sinne, würdevolle Herren sprangen ob des Geschehens auf der Bühne auf und tun lautstark ihren Unmut kund. Dieses Schauspiel auf der Bühne zu erleben war Nichts für schwache Theaterseelen.

Die Räuber

Schillers allzu rebellische "Räuber" waren unerhört: eine dramatische Aufwallung wider die Obrigkeit. Mit biblischer Wucht lässt das Stück Urkonflikte menschlichen Seins aufleben: Kain und Abel, Vatermord, Liebe und Leid, Ehre und Gewissen, Pflicht und Verrat. Es polterte gegen Gottlosigkeit und war dennoch antiklerikal.

Das auführerische Stück zeigt Brandschatzung, Männerbund und Nonnenschändung. Derb und deftig ist die Sprache, tolldreist sind die Räuber in den böhmischen Wäldern, die sich gegen Obrigkeiten auflehnen und sich dennoch einer Autorität beugen: "Führ uns an, Hauptmann!", begehren sie im 2. Akt, "wir folgen dir in den Rachen des Todes."

Die Taten der Räuberbande, deren Hauptmann, Karl ist, führten der Gesellschaft ihre schlimmsten Albträume vor Augen: Brennende Städte, ermordete Frauen und Kinder und sogar vergewaltigte Nonnen! Ungeheheurlich! Da nutzte es auch wenig, dass gegen Ende des Stückes alles wieder so halbwegs in die gewohnten Bahnen der gottgewollten Ordnung zurückkehrte. Viele waren entweder gar nicht mehr im Theater oder einfach noch zu schockiert von dem eben Gesehenen.

»"Die Räuber«, eines der Gründungswerke der »Sturm und Drang«-Zeit, hat auch in den folgenden Jahrhunderten nichts von seiner Sprengkraft verloren. Im Vorfeld der Revolution von 1848 war es Lieblingslektüre vieler nach Freiheit strebender National- und Verfassungsstaatler. Und noch 120 Jahre später zitierten die rebellierenden Studenten die "Armee in [ihrer] Faust".

Literatur:

Die Räuber: Ein Schauspiel
Die Räuber: Ein Schauspiel
von Friedrich Schiller

Samstag, 13. November 2021

Josef K. in Franz Kafkas »Prozess«

„Jemand musste Josef K. verleumdet haben…“ – so lautet der Anfang des Manuskripts zu Franz Kafkas düsterem Romanfragment »Der Process«, 1914/15.

Der Bankprokurist Josef K., der Protagonist des Romans, wird am Morgen seines 30. Geburtstages verhaftet, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. Trotz seiner Festnahme darf sich K. noch frei bewegen und weiter seiner Arbeit nachgehen. Vergeblich versucht er herauszufinden, weshalb er angeklagt wurde und wie er sich rechtfertigen könnte. Dabei stößt er auf ein für ihn nicht greifbares Gericht, dessen Kanzleien sich auf den Dachböden großer ärmlicher Mietskasernen befinden. Die Frauen, die mit der Gerichtswelt in Verbindung stehen und die K. als „Helferinnen“ zu werben versucht, üben eine erotische Anziehungskraft auf ihn aus.

Josef K. versucht verzweifelt, Zugang zum Gericht zu finden, doch auch dies gelingt ihm nicht. Er beschäftigt sich immer öfter mit seinem Prozess, obwohl er anfangs das Gegenteil beabsichtigte. Er gerät dabei immer weiter in ein albtraumhaftes Labyrinth einer surrealen Bürokratie. Immer tiefer dringt er in die Welt des Gerichts ein. Gleichzeitig dringt jedoch auch das Gericht immer mehr in Josef K.s Leben ein. Ob tatsächlich ein irgendwie gearteter Prozess heimlich voranschreitet, bleibt sowohl dem Leser als auch Josef K. verborgen.

Gleiches gilt für das Urteil: K. erfährt es nicht, aber er empfindet selbst, dass seine Zeit abgelaufen ist. Josef K. fügt sich einem nicht greifbaren, mysteriösen Urteilsspruch, ohne jemals zu erfahren, weshalb er angeklagt war und ob es tatsächlich dazu das Urteil eines Gerichtes gibt. Am Vorabend seines 31. Geburtstages wird Josef K. von zwei Herren abgeholt und in einem Steinbruch „wie ein Hund“ erstochen.

Die grotesk-komische Wirkung solcher Situationen lebt von der Differenz der Darstellung des Widersinnigen im Gegensatz zu einer vernünftig geordneten Welt. Und genau der Einbruch des mit Vernunft nicht Erklärbaren in die Lebensordnung von Josef K. ist der Gegenstand des Romans. Bis zu seiner Verhaftung ist sein Leben von einer vernünftig-bürgerlichen Einteilung geprägt. Der Alltag ist aufgeteilt zwischen regelmäßiger Arbeit, Spaziergängen, einem Stammtisch und dem wöchentlichen Besuch "zu einem Mädchen namens Elsa." In diese Ordnung hat die Verhaftung nun Unordnung gebracht.


Weblink:

Interpretation Der Prozeß - www.xlibris.de

Samstag, 16. Oktober 2021

»Michael Kohlhaas« von Heinrich von Kleist

Michael Kohlhaas

Die Novelle »Michael Kohlhaas«, die Heinrich von Kleist im kühlen Stil der Chronik geschrieben hat, gilt als Kleists berühmtestes und berüchtigstes Werk.

»Michael Kohlhaas« ist eine Novelle von Heinrich von Kleist nach dem historischen Vorbild der Figur des Hans Kohlhase. Die Geschichte des Michael Kohlhaas ist in der Mitte des 16. Jahrhunderts angesiedelt. Die Story um den rachsüchtigen Pferdehändler beruht auf einer wahren Geschichte: der Kaufmann Hans Kohlhase wurde nach sechsjähriger Fehde wegen Landfriedensbruch hingerichtet.

Ein erstes Fragment erschien bereits in der Juni-Ausgabe 1808 von Kleists Literaturzeitschrift »Phöbus«. In vollständiger Form wurde sie 1810 im ersten Band von Kleists Erzählungen veröffentlicht. Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas, »einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit«, zählt zu den eindrucksvollsten Gestalten der Weltliteratur. »Michael Kohlhaas« ist auch die berühmteste Figur Kleists. Als uneinsichtiger Querulant und Rechthaber ist er sprichwörtlich geworden.


In »Michael Kohlhaas« erzählt Heinrich von Kleist die blutige Geschichte des Rosshändlers Kohlhaas, der unverschuldet und aufgrund einer Unpässlichkeit mit einem Landjunker in Streit gereit und daraufhin sein Recht einfordert.

Die Novelle um Michael Kohlhaas spielt in Brandenburg und Sachsen. Kohlhaas ist ein Mann, der an dem Unrecht resigniert und hilflos da steht. Niemand hilft ihm und steht an seiner Seite. Je mehr er in Bewegung setzte, um sich gegen das Unrecht aufzulehnen, umso mehr traf er auf Fronten, auf Mauern, auf Schweigen und Gegenwehr. Er wollte kämpfen für das Recht und nur das war es, was ihn nach vorne sehen ließ.

An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. - Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.

Die Erzählung spielt in der Mitte des 16. Jahrhunderts und handelt vom Pferdehändler Michael Kohlhaas, der gegen ein Unrecht, das man ihm angetan hat, zur Selbstjustiz greift und dabei nach der Devise handelt: „Fiat iustitia, et pereat mundus“ (dt.: „Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe auch die Welt daran zugrunde!“). Ernst Bloch nannte daher Michael Kohlhaas auch den „Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität“.

Michael Kohlhaas

Der Rosshändler Kohlhaas macht sich aus dem Brandenburgischen auf, um auf einer Messe seine Pferde zu verkaufen. Bei der Burg des Junkes Wenzel von Tronka wird er unter dem Vorwand aufgehalten, er habe keinen Pass. Wohl oder übel geht er auf die Forderungen der betrunkenen Ritter und ihres Junkers ein. Er lässt als Pfand zwei Pferde und seinen Diener Herse zurück.

"Das sind nicht meine Pferde, gestrenger Herr!
Das sind die Pferde nicht, die dreißig Goldgulden wert waren!
Ich will meine wohlgenährten und gesunden Pferde wieder haben!"

Der Rosshändler Kohlhaas, vom Junker Wenzel von Tronka unrechtmäßig um zwei seiner Pferde gebracht, streitet für Gerechtigkeit: Als ihm diese auf juristischem Weg verwehrt bleibt, beginnt er einen blutigen Rachefeldzug gegen seinen Übeltäter. Schließlich erfährt er Genugtuung doch für das auf der Suche nach Gerechtigkeit begangene Unrecht zahlt Kohlhaas mit seinem Leben.

Als die Beilegung der Streitigkeit auf juristischen Wege abgewiesen wird, schwört Kohlhaas, alles daran zu setzen, sein Recht bis zum Letzten einzufordern. Zur Eskalation des Konflikts kommt es schließlich, als Kohlhaases Frau bei dem Versuch, ihm zu helfen, durch einen Unfall geschwächt ihren Verletzungen erliegt.

"Ich werd' mir mein Recht zu schaffen wissen!" - Ein fulminantes Werk über erfahrenes Unrecht und Selbstjustiz. Es ist eine Kritik des Rechtssystems. In Michael Kohlhaas geht es ihm um die Gerechtigkeit der höhergestellten Leute gegenüber dem einfachen Bürger. Die Geschichte um Michael Kohlhaas ist sicherlich auch als Synonym für viele einfache Menschen der unteren Stände dieser Zeit zu sehen, die sich Lehnsherren und Fürsten schutzlos ausgeliefert sahen und um ihre bürgerlichen Rechte betrogen fühlten.

Indirekt gab der patriotisch gesinnte Kleist damit relativ unverfänglich seiner Hoffnung Ausdruck, ein geeintes Deutschland möge sich Napoleon entgegenwerfen und den Besatzer besiegen.

Literatur:

Michael Kohlhaas
Michael Kohlhaas
von Heinrich von Kleist

Michael Kohlhaas Berlin 1810
Michael Kohlhaas Berlin 1810
von Heinrich von Kleist


Weblink:

Michael Kohlhaas - www.wikiwand.com


Dokumentation:

Hinrichtung von Hans Kohlhase - www.deutschlandfunk.de

Heinrich von Kleist: "Michael Kohlhaas" (1810) (Aus einer alten Chronik - TextalsPDF-Datei - www.ub.uni-bielefeld.de